Finanzkompetenz in der Schweiz

Obwohl die Finanzkompetenz in der Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern höher ist, steht auch unser Land diesbezüglich vor Herausforderungen. Zwar bieten viele Akteure Programme zur finanziellen Grundbildung an, doch das Fehlen einer nationalen Strategie zur Koordination dieser Programme steht weiteren Verbesserungen der Finanzkompetenz in der Schweiz derzeit im Weg.

Was ist Finanzkompetenz und warum ist sie wichtig?

Die OECD definiert Finanzkompetenz als «eine Kombination aus Bewusstsein, Wissen, Fähigkeiten, Einstellungen und Verhaltensweisen, die notwendig sind, um solide finanzielle Entscheidungen zu treffen und letztlich individuelles finanzielles Wohlergehen zu erreichen.» Finanzkompetenz wird häufig anhand der so genannten «Big Three»-Fragen zu Zinsen, Inflation und Risikoverteilung gemessen.

Verschiedene Studien haben dabei gezeigt, dass tiefe Finanzkompetenz oft mit hoher Verschuldung oder niedrigen Sparquoten für das Alter verbunden ist. Mit steigendem Druck auf die Rentensysteme aufgrund des demografischen Wandels und immer komplizierteren Finanzprodukten wird Finanzkompetenz in Zukunft somit umso wichtiger werden.

Wo steht die Schweiz?

Obwohl die Schweiz – zusammen mit Deutschland und den Niederlanden – zu den Spitzenreitern gehört, ist das Gesamtniveau der Finanzkompetenz in der Schweiz immer noch niedrig.  Nur 50 % der Schweizer Bevölkerung können grundlegende Fragen zu Zinsen, Inflation und Risikoverteilung richtig beantworten. Besonders tief ist die Finanzkompetenz bei einkommensschwachen oder wenig gebildeten Haushalten sowie bei Frauen.

In den Lehrplänen der Schweizer Schulen wird die finanzielle Grundbildung recht gut abgedeckt. Zwar stehen persönliche Finanzen kaum je direkt im Zentrum, sie sind aber Teil einer breit verstandenen ökonomischen Grundbildung.

Trotzdem besteht Verbesserungspotenzial, denn die Werte der Schweiz in der PISA-Studie, welche die Leistungsfähigkeit des Schweizer Bildungssystems am Ende der obligatorischen Schulzeit misst, sind seit 2012 in allen Bereichen (Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften) tendenziell gesunken.

Wie kann die Finanzkompetenz in der Schweiz verbessert werden?

Die Rolle der öffentlichen Hand in Bezug auf die finanzielle Grundbildung war in der Schweiz bisher – entgegen dem internationalen Trend – zurückhaltend. Mit Ausnahme von «Il franco in tasca», dem Programm zur Prävention von Überschuldung des Kantons Tessin, gibt es bis heute kaum breit angelegte Umfragen, Schulversuche oder Kampagnen. So nimmt die Schweiz beispielsweise auch nicht am freiwilligen Zusatzteil der PISA-Erhebung zur Finanzkompetenz teil, der seit 2012 periodisch durchgeführt wird.

Nationale Finanzbildungsstrategien unserer Nachbarländer

Deutschland:
Deutschland startete unlängst eine Initiative Finanzielle Bildung zur Stärkung der Finanzkompetenz in der Bevölkerung. Mehr dazu finden Sie hier.

 

Österreich
Im Jahr 2021 hat Österreich eine nationale Finanzbildungsstrategie lanciert. Den Lead haben das Finanzministerium, zusammen mit der Oesterreichischen Nationalbank. Mehr dazu finden Sie hier.

 

Italien:
Italien hat seit 2017 eine nationale Strategie für Finanzbildung. Für die Umsetzung wurde der Ausschuss Comitato EduFin geschaffen. Dieser setzt sich aus Mitgliedern verschiedener Regierungsstellen und Aufsichtsbehörden zusammen, darunter die italienische Zentralbank Banca d’Italia.

 

Frankreich: 
Frankreich verfügt seit 2006 über eine Dachorganisation Öffentliche Finanzbildung, das Institut pour l'Education Financière du Public (IEFP), bekannt unter dem Namen La finance pour tous.

Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern gibt es in der Schweiz also keine nationale Strategie oder zuständige Behörde für die finanzielle Grundbildung. Stattdessen bieten viele verschiedene öffentliche und private Akteure – wie lokale Schulden- und Budgetberatungsstellen oder gewinnorientierte Institutionen aus dem Finanzsektor, aber beispielsweise auch die Schweizerische Nationalbank (SNB) – Bildungsprogramme zu Finanzthemen an, jedoch unkoordiniert und ohne nationales Konzept.

Zwar gibt es Bestrebungen für eine informelle Vernetzung, jedoch keinen systematischen Ansatz. Dies führt dazu, dass sich viele Programme an die selbe, leicht erreichbare Zielgruppe der Schülerinnen und Schüler richten, während andere Zielgruppen aussen vor bleiben. 

Eine nationale Koordination der verschiedenen Programme sowie ein systematischeres Nachweisen derer Wirksamkeit könnte daher erheblich zur weiteren Verbesserung der Finanzkompetenz in der Schweiz beitragen. Generell ist die Datenlage eher dürftig und besteht Bedarf bezüglich Forschungs- und Datengrundlagen.

Fazit

Zusammenfassend gilt die Schweiz zwar im Vergleich zu anderen Ländern als führend im Bereich der Finanzkompetenz, sie steht aber vor grossen Herausforderungen. Das Fehlen einer nationalen Strategie und die eingeschränkte Koordination der verschiedenen Akteure sowie die daraus resultierende einseitige Ausrichtung der existierenden Angebote machen deutlich, dass ein umfassenderer und koordinierter Ansatz erforderlich wäre.

Hintergrund dieser Story

Diese Story beleuchtet wichtige Inhalte aus Kapitel 23, «Financial Literacy and financial education in Western Europe», veröffentlicht in «The Routeledge Handbook of Financial Literacy». Das spezifische Unterkapitel, das den Stand der Finanzkompetenz in der Schweiz (ab Seite 373) behandelt, wurde von Manuel Wälti, dem Leiter Ökonomische Bildung bei der Schweizerischen Nationalbank (SNB), verfasst. «The Routeledge Handbook of Financial Literacy» ist im Januar 2022 im Verlag Routledge Publishing House erschienen.

Portrait von Andrea Hofer
Beitrag von:
Andrea Hofer
erstellt am 23.06.2023

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