Thema und Inhalt
Wie schaffte es die Schweiz, innerhalb von 200 Jahren einen internationalen Spitzenplatz bezüglich Wohlstand zu erringen? Das Modul «Schweizer Wirtschaftsgeschichte» geht dieser Frage nach. Im Rahmen von visuell erzählten Fallstudien erfahren die Schülerinnen und Schüler (SuS) Umstände und Hintergründe einer wichtigen Entscheidung in einem wirtschaftsgeschichtlich bedeutenden Schweizer Unternehmen. Auf dieser Grundlage versetzen sie sich in die damalige historische Situation und treffen ihren eigenen Entscheid. Diesen begründen die SuS sowohl unter unternehmerischen Gesichtspunkten als auch im historischen und volkswirtschaftlichen Kontext. Es stehen drei Fälle zur Verfügung: «Johann Rudolf Geigy-Merian (Geigy), im Jahr 1856», «Walter Boveri (BBC), im Jahr 1895» und «Gottlieb Duttweiler (Migros), im Jahr 1925».
Didaktisches Format
Die einzelnen Fallstudien sind aufbereitet im Videobook-Format, einer Kombination aus Text, Bild und Ton. Das Videobook kann im Browser aufgerufen werden. Es enthält sämtliche Grundlagen für einen Entscheid nach der Fallstudienmethode. Anhand von Aufgaben erarbeiten sich die SuS individuell die Entscheidungsgrundlagen. Die entsprechenden Überlegungen können sie in einem interaktiven PDF-Formular direkt auf dem Bildschirm oder auf dem entsprechend ausgedruckten Blatt handschriftlich festhalten. Danach dokumentieren sie ihre Entscheidung, vergleichen diese mit der historisch realen und präsentieren das Ergebnis dem Klassenplenum.
Dauer
Die Fallstudien können in Einzelarbeiten in vier bis fünf Lektionen (Optimalvariante) bzw. in arbeitsteiligen Gruppen in zwei Lektionen (Kurzvariante) bearbeitet werden.
Geeignete Fächer
Wirtschafts- und Gesellschaftsfächer, Geschichte und Politische Bildung.
Anspruchsniveau
Hoch. Das Modul ist aber breit einsetzbar. In der Auswertung kann das Anspruchsniveau bezüglich Reflexion reduziert werden.
Das Modul Schweizer Wirtschaftsgeschichte umfasst den Kommentar und folgende Unterrichtsmaterialien:
- Videobook Fall Geigy (Webapplikation)
- Videobook Fall BBC (Webapplikation)
- Videobook Fall Migros (Webapplikation)
- Auftrag Fall Geigy
(Entscheidungshilfen, Aufgabenset, Entscheidungs-Mindmap, Lösungshinweise) - Auftrag Fall BBC
(Entscheidungshilfen, Aufgabenset, Entscheidungs-Mindmap, Lösungshinweise) - Auftrag Fall Migros
(Entscheidungshilfen, Aufgabenset, Entscheidungs-Mindmap, Lösungshinweise) - Druckvorlage: Freigabe Lösungskapitel: Fall Geigy, Fall BBC, Fall Migros
- Hintergrund: Die Phasen der Schweizer Wirtschaftsgeschichte
- Checkliste für die Präsentation (Online / PDF)
Kompetenzorientierte Lernziele
Das Unterrichtsangebot schult die folgenden Kompetenzen der SuS:
- Wahrnehmen von Quellen,
- Erschliessung von medial vermittelter Geschichte
- Erkennen und Prüfen von Zusammenhängen, Ursachen/Gründen, Folgen/Wirkungen
- Fähigkeit zu sach- und situationsgerechtem, plausibel begründetem Entscheiden
- Fähigkeit zur Auseinandersetzung mit Lösungen von Mitlernenden und
- Reflexionsfähigkeit und -bereitschaft über den eigenen Arbeitsprozess.
Die Lernziele wird die Lernperson persönlich und in Abhängigkeit ihrer übergeordneten Ziele und der Situation der Klasse gewichten und ergänzen. Folgende Vorstellungen von Lernzielen liegen dem Unterrichtsangebot zugrunde:
Zum ökonomischen Hintergrund
Das Modul «Schweizer Wirtschaftsgeschichte» verbindet die Fächer Geschichte und Wirtschaft. Es stellt am Beispiel der Schweiz die drei Technischen Revolutionen (früher die «Industrialisierung») und ihre Wirkung auf Gesellschaft, Umwelt und Politik paradigmatisch dar. Es löst sich heute von der früheren Darstellung der Wirtschaftsgeschichte als einem fast teleologisch auf Fortschritt hinzielendem Masternarrativ. Denn es stellt die Offenheit der jeweiligen historischen Entwicklung für andere Richtungen und auch Misserfolge und Rückschlage dar. Damit wird eine Verbindung gezogen zwischen unternehmerischen Einzelentscheiden und dem erstaunlichen wirtschaftlichen Aufschwung, der die Voraussetzungen für den Schweizer Wohlstand schuf.
Im Rahmen von visuell erzählten Fallstudien erfahren die SuS Umstände und Hintergründe einer wichtigen Entscheidung eines wirtschaftsgeschichtlich bedeutenden Schweizer Unternehmens. Auf dieser Grundlage versetzen sie sich in die damalige historische Situation und treffen eigenständig ihren Entscheid. Diesen begründen die SuS sowohl unter unternehmerischen Gesichtspunkten als auch im historischen und volkswirtschaftlichen Kontext. Nach Erhalt des Passwortes informieren sich die SuS über real getroffene Entscheidung und präsentieren ihre Fallstudie dem Klassenplenum.
Das Modul greift auf drei bewährte methodisch-didaktische Ansätze sowie das digitale Format Videobook zurück:
Fallstudien-Methode
Die Fallstudienmethode («case study») entstammt ursprünglich der universitären Lehre in der juristischen und der wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildung und wurde auf andere Fächer und in den Schulunterricht übertragen. Die ins Fach Wirtschaftsgeschichte übertragene Fallstudienmethode lässt die Erzählung zu einem bestimmten Entscheidungszeitpunkt anhalten und veranlasst die SuS zu einem Entscheid ins Offene hinaus. Aus den in der Erzählung eingeflochtenen Erläuterungen verfügen sie über genügend Entscheidungsgrundlagen. Damit lässt sich ihr Entscheid bezüglich seiner Triftigkeit einstufen und beurteilen.
Personalisierung
Eine Entscheidungssituation muss nicht zwingend mit einer Person verknüpft werden. In der Geschichte bietet sich jedoch die Personalisierung an, weil der Fall an eine bestimmte vergangene Zeit gebunden und in ihrem Rahmen entschieden werden muss. Der gedankliche Sprung zurück in die Vergangenheit und in die Entscheidungssituation lässt sich über die Empathie für eine Person am leichtesten bewerkstelligen. Zudem werden die Offenheit der Geschichte in der jeweiligen (vergangenen) Gegenwart und die Handlungsoptionen der Einzelpersonen deutlich. Wenn man das Ziel, Wirtschaftsgeschichte zu vermitteln, verfolgt, müssen die Entscheidungen allerdings von einer bestimmten Tragweite sein. Das schliesst die Personifizierung, das Herausgreifen historisch weniger bedeutsamer Personen, aus.
Digitales Format Videobook
Das Videobook als digitales Format kombiniert Medienkonvergenz mit Interaktivität in einer übersichtlichen Gliederung. Die Erzählung folgt einer Kapitelstruktur, die den SuS aus Print-Formaten bekannt ist. Die Haupterzählung wird dabei durch verschiedene Nebenerzählungen ergänzt und kontextualisiert. Die Nebenerzählungen werden in der Haupterzählung durch Buttons dargestellt und lassen sich als «overlay» öffnen. Die SuS entscheiden selbst, zu welchem Zeitpunkt sie welche Nebenerzählung öffnen (Interaktivität). Im Sinne einer Orientierungshilfe werden dabei die entsprechenden Buttons mit den Labeln «Entscheidungshinweis» oder «Zum Schmökern» versehen.
Sowohl Haupt- als auch Nebenerzählungen kombinieren verschiedene Medienformate (u.a. Töne, Filme, Bilder, Visualisierungen). Ein besonderer Fokus wird dabei auf das Einbinden von Quellenmaterialien gelegt, die in den Nebenerzählungen mit kommentierenden Texten näher erläutert oder als Bildergalerien mit anderen Quellen kombiniert werden. Der Idee des «visuellen Erzählens» folgend werden so Narrationen möglich, deren Träger das Bildmaterial selbst ist. So vermittelt beispielsweise die Bildergalerie mit Abbildungen zur Wohnsituation der BBC-Belegschaft (von den Vorgesetzten bis zu den italienischen Gastarbeitenden) Geschichten, die Fragen nach sozialen Unterschieden und dem Umgang mit immigrierten Menschen beleuchten.
Übersicht über die Fallstudien
Fall Johann Rudolf Geigy-Merian (Geigy), im Jahr 1856
Über die historische Verortung der Fallstudie Johann Rudolf Geigy-Merian im Jahr 1856 gibt die Einleitung zum Dossier «Entscheidungshilfe» der SuS Aufschluss. In diesem Fall geht es um einen Unternehmer am Ende der Ersten Technischen Revolution, der den Schritt in eine Kerntechnologie der Zweiten Technischen Revolution, nämlich die chemische Produktion, wagt.
Johann Rudolf Geigy-Merian musste sich 1856 (und in den Folgejahren) entscheiden, ob er das traditionelle Drogenhandelsgeschäft und die von seinem Vater begonnene Verarbeitung von Farbhölzern weiterführen, sich auf letztere konzentrieren oder gar in die chemische Farbproduktion überwechseln soll. Da er über genügend Ressourcen verfügte, konnte er auch zwei Optionen kombinieren. So ergeben sich für die SuS beim Durcharbeiten der fünf Abschnitten des Videobooks sechs Optionen, unter denen sie sich für eine zu entscheiden haben.
Fall Walter Boveri (BBC), im Jahr 1895
Über die historische Verortung der Fallstudie «Walter Boveri (BBC), im Jahr 1895» gibt die Einleitung zum Dossier «Entscheidungshilfe» der SuS Aufschluss. In diesem Fall geht es um das für Unternehmen der Zweiten Technischen Revolution typischen Konflikt zwischen Grossinvestition und Kapitalbasis bzw. Liquidität der Unternehmen.
Im vorliegenden Entscheidungsfall geht es um die Situation der 1891 gegründeten Brown Boveri & Cie. im Jahr 1895. Sie hatte damals zwar bereits vier Jahre mit technischem und wirtschaftlichem Erfolg hinter sich, aber die Liquidität bereitete dem Direktor Walter Boveri (1865–1924) Sorgen. Die Errichtung von Elektrizitätswerken erfordert hohe finanzielle Vorleistungen, welche die junge, fast ohne Bankkapital gegründete Kommanditgesellschaft kaum erbringen konnte.
Die SuS werden in diese Situation eingeführt durch den virtuellen Erzähler Walter Boveri, dessen Schilderungen in sechs Abschnitten an die Entscheidungssituationen heranführen.
Fall Gottlieb Duttweiler (Migros), im Jahr 1925
Über die historische Verortung der Fallstudie «Gottlieb Duttweiler (Migros), im Jahr 1925» gibt die Einleitung zum Dossier «Entscheidungshilfe» der SuS Aufschluss. In diesem Fall geht es um vier konkrete Einzelentscheide, die Gottlieb Duttweiler (1888–1962) bei der Gründung der Migros AG und im Zusammenhang mit seiner folgenreichen Innovation des Detailhandels zu treffen hatte. Diese Entscheide betrafen die Verkaufsmethode, die Kundenbindung, den Bezug der Ware und Duttweilers Positionierung gegenüber dem bestehenden Detailhandel. Beim Durcharbeiten der sechs Abschnitte des Videobooks treffen die SuS vier Entscheide darüber.
Die SuS werden durch kurze Aufträge zur Erstellung einer eigenen Dokumentation veranlasst. Auf deren Grundlage treffen sie ihre Entscheidung. Der Fortgang der Geschichte wird durch die Lehrperson erst freigeschaltet, wenn die SuS ihre Entscheidungen formuliert, abgewogen und begründet haben.
Sie erfahren dann, wie im jeweiligen Fall entschieden wurde, aber auch, dass andere Entscheidungsoptionen teilweise und/oder später auch ihre Wirkungen entfaltet haben. Die Studie schliesst – nun etwas aus der Zeit heraustretend – mit einem Ausblick auf die weitere Entwicklung ab, um einen Gegenwartsbezug herzustellen.
Das folgende Schema zeigt am Beispiel des Falls BBC den oben beschriebenen Ablauf:
Als Stärken der Fallstudienmethode gelten:
Quelle: Iconomix Quelle: Iconomix
- die Motivation der SuS, ihren Fall zu entscheiden, und, damit verbunden, ein hohes Engagement
- die Abdeckung des gesamten Bildungsprozesses vom Angebots- über den Aneignungs- bis zum Kommunikationsraum und damit verbunden, das hybride Vermittlungsangebot der Iconomix-Plattform:
- Quelle: Iconomix
- der echte Bezug zur historisch offenen Situation und damit das Erleben von «echter» Geschichte; der Wissenserwerb wird mit einem Lernerlebnis verbunden
- die hohe Anschaulichkeit der Schilderungen
- die Berücksichtigung der gesellschaftswissenschaftlichen Bereiche: über die Wirtschaft hinaus den Bereich der Gesellschaft, der Politik und der Kultur.