Klimawandel: Technologischer Wandel
Klimawandel: Technologischer Wandel

Hintergrundinformation

Klimawandel: Technologischer Wandel

Die Rolle des technologischen Wandels

Der grosse Umbau

Die globale Durchschnittstemperatur steigt weiter an, solange wir Nettotreibhausgase in die Atmosphäre emittieren; daher sind Netto-Null-Emissionen langfristig unausweichlich (für Einzelheiten siehe das Modul «Klimawandel: CO2-Emissionen und Erderwärmung»).

Netto-Null-Emissionen bedeutet, dass nicht mehr Treibhausgase in die Atmosphäre entlassen werden dürfen, als durch sogenannte CO2-Senken aus der Atmosphäre entnommen werden. CO2-Senken können zum einen «natürlich» sein, wie z. B. Wälder, die CO2 in Form von Biomasse speichern, oder «künstlich», wie z. B. die technische CO2-Abscheidung bei Kohlekraftwerken. Es bleiben uns rund 30 bis 40 Jahre Zeit, um die Erderwärmung auf 2 °C, besser 1,5 °C, gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen; dieses Ziel wurde im Rahmen des Pariser Klimaabkommens verabschiedet (für Einzelheiten siehe das Modul «Klimawandel: Internationale Klimapolitik»).

Höchstwahrscheinlich impliziert das Ziel von Netto-Null-Emissionen einen globalen Ausstieg aus der fossilen Energietechnologie. Prinzipiell ist zwar, wie oben erwähnt, eine CO2-Abscheidung und Speicherung möglich, allerdings sind natürliche CO2-Senken in ihrem Umfang begrenzt und die technologische Abscheidung von CO2 scheint zumindest derzeit wenig rentabel gegenüber alternativen Energieträgern zu sein. Darüber hinaus erinnert das Problem, riesige Mengen an CO2 über geologische Zeiträume sicher zu verwahren, an die bisher ungelöste Endlagerung radioaktiver Abfälle.

Ein Ausstieg aus fossilen Energieträgern impliziert einen technologischen Wandel in vielen Sektoren, vor allem im Bereich Energie (Stromerzeugung), Verkehr (motorisierter Individualverkehr) und Gebäude (Raumwärme, Warmwasser), was unten stehende Grafik für die Schweiz veranschaulicht

Nicht-lineare Ablösungsverläufe von Technologien

Ist dieser massive Umbau der Wirtschaft über den technologischen Wandel in dieser Zeitspanne überhaupt zu bewerkstelligen? Wenn ja, zu welchen Kosten? Und wie sieht es mit der Vereinbarkeit von Klimaneutralität und gesellschaftlichem Wohlstand aus?

Tatsächlich ist der Technologiewandel bereits in vollem Gange: Erneuerbare Energien wie Wasser, Sonne und Wind ersetzen zunehmend fossile Brennstoffe in der Stromerzeugung. Öl- und Gas­heizungen werden durch Wärmepumpen ersetzt. Auch die Elektromobilität ist auf dem Vormarsch. Trotzdem sind viele Menschen pessimistisch, ob die traditionellen fossilen Energietechniken in den nächsten 30 bis 40 Jahren zu ähnlichen oder gar geringeren Preisen ersetzt werden können. Diese Wahrnehmung wird durch die nicht linearen Ablösungsverläufe von neuen Technologien befördert, was folgendes Beispiel veranschaulicht.

Stellen wir uns eine Stadt vor, in der es an Tag 1 ein Hausdach gibt, auf der eine Photovoltaikanlage (PVA) installiert ist. Pro Tag verdoppelt sich die Anzahl der Hausdächer mit PVA: An Tag 2 gibt es zwei PVA, an Tag 3 schon vier, an Tag 4 acht usw. Das heisst, die Ablösung der alten Energietechnologie durch Sonnenenergie folgt einem exponentiellen Verlauf. Wenn nun an Tag 29 die Hälfte der Dächer der Stadt mit PVA bestückt ist, an welchem Tag haben alle Dächer der Stadt eine PVA? Diese Denksportaufgabe ist sehr bekannt und kursiert in vielen verschiedenen Varianten. Die Antwort ist selbstverständlich an Tag 30.

Vergleich lineare (oben) vs. logarithmische Skala (unten)

Hinweis: Wenn sich eine Grösse in konstanter Zeit verdoppelt (exponentiell wächst) und man das Ergebnis mit einer logarithmischen Skala in einem Graphen darstellt, erhält man eine gerade Linie (siehe Grafik unten).

Viel aufschlussreicher sind jedoch die Antworten auf folgende Fragen: Wie viele Prozent der Hausdächer haben eine PVA an Tag 20 bzw. Tag 25? Bevor man die richtigen Ergebnisse errechnet, kann man versuchen, diese zu schätzen. Dabei zeigt sich, dass die meisten Menschen den Anteil an PVA an Tag 20 und 25 massiv überschätzen. Der Mensch tut sich grundsätzlich schwer, nicht lineare Abhängig­keiten intuitiv zu erfassen. Das ist auch der Grund, warum wir in der Corona-Pandemie ein ums andere Mal von den plötzlich stark ansteigenden Fallzahlen zu Beginn und auch von den stark fallenden Inzidenzen beim Auslaufen jeder neuen Infektionswelle überrascht wurden.

Was heisst das nun für die Ablösung fossiler Energietechniken? Wenn der Anteil von Hausdächern mit PVA in unserem Beispiel den Marktanteil der erneuerbaren Energietechnologien darstellt, dann dauert die vollständige Technologieablösung 30 Tage. Allerdings liegt der Marktanteil dieser Technologien an Tag 20 nur bei rund 0,1%. Das heisst, zwei Drittel der gesamten Ablösungszeitspanne sind bereits vorüber und man sieht nichts! Auch an Tag 25 liegt der Marktanteil bei mageren 3,1%. Wenn man diese Entwicklung von Tag 1 bis Tag 25 beobachtet und man nach 25 Tagen bei ungefähr 3% Marktanteil steht, kann man sich in der Tat sehr schwer vorstellen, dass bereits an Tag 30 die alte Technologie vollkommen verdrängt sein wird.

Evidenz für nicht lineare Ablösungsverläufe

Gibt es empirische Evidenzen, dass sich erneuerbare Energietechniken tatsächlich wie oben beschrieben gegen etablierte fossile Energietechniken in den Sektoren Energie, Verkehr und Gebäude durchsetzen?

In der Schweiz ist die Stromerzeugung überwiegend CO2-neutral, da sie vor allem auf Wasserkraft und Kernenergie fusst. Die Herausforderung im Schweizer Energiesektor liegt vor allem darin, den mittelfristig auslaufenden Atomstrom durch nicht fossile Energietechniken zu ersetzen. Sehen wir uns daher die Stromerzeugung in Deutschland an, die einen historisch hohen Anteil an fossilen Energieträgern, insbesondere Braun- und Steinkohle, zur Stromerzeugung nutzt. Der Anteil erneuerbarer Energien an der Gesamtstromerzeugung betrug im Jahr 2002 8,64%. Im Jahr 2010 waren es bereits 19,30%, im Jahr 2015 33,24%. 2020 war die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen erstmals grösser als aus konventionellen Energieträgern und betrug 50,48% (Frauenhofer-Institut für solare Energiesysteme 2021). Der Anteil erneuerbarer Energien an der Gesamtenergieproduktion zwischen 2002 und 2020 in Deutschland folgt in sehr guter Näherung einem exponentiellen Verlauf, was folgende Grafik veranschaulicht.

Stellvertretend für den Verkehrssektor sehen wir uns Daten zur Elektromobilität in der Schweiz an. Im Jahr 2010 waren von allen neu immatrikulierten Personenwagen in der Schweiz nur 0,07% reine Elektroautos, zählt man Hybridantriebe mit, waren es 1,5%. Im Jahr 2015 waren es schon 1,2% bzw. 3,9% und im Jahr 2020 betrug ihr Anteil 8,2% bzw. 28,9% (Bundesamt für Statistik 2021). Auch die Zahl der neu immatrikulierten Personenwagen mit Elektro- bzw. Hybridantrieb in der Schweiz zwischen 2010 und 2020 folgt in sehr guter Näherung einem exponentiellen Verlauf.

Stellvertretend für den Sektor Gebäude betrachten wir die Fläche in privaten Haushalten, welche von Wärmepumpen bzw. Solarthermieanlagen beheizt wird. Im Jahr 2000 waren es 3,51% bzw. 3,60%. Dieser Anteil stieg auf 9,05% bzw. 0,22% im Jahr 2010 und schliesslich auf 18,34% bzw. 0,51% im Jahr 2020 (Bundesamt für Energie 2020). Auch hier sehen wir den exponentiellen Ablösungsverlauf über die Zeit. Wärmepumpen sind aber nur dann klimaneutral, wenn der Strom, über welchen diese betrieben werden, nicht aus fossilen Energieträgern stammt.

Die Gründe für die nicht-lineare Ablösung und die Rolle der Politik

Die Hauptursache für diese nicht linearen Ablösungspfade von Technologien liegt in den exponentiell fallenden Kosten der zugrunde liegenden Technologien. So nehmen die Herstellungskosten von Solarzellen, Batterien und Windkraftanlagen exponentiell ab. Zusätzlich erschweren sogenannte Diffusionshindernisse die Durchsetzung einer neuen Technologie in der Anfangsphase. Dies lässt sich gut am Beispiel der Elektromobilität veranschaulichen: Solange der Anteil von Elektrofahrzeugen gering ist, lohnt es sich kaum, in eine entsprechende Ladeinfrastruktur zu investieren. Solange es aber keine entsprechende Ladeinfrastruktur gibt, sind Elektrofahrzeuge unattraktiv. Ob und wie schnell sich neue Technologien durchsetzen, hängt nicht nur von den Technologien selbst, sondern auch von den ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen ab. Zum Beispiel haben es erneuerbare Energietechnologien besonders schwer, fossile Energietechniken abzulösen, solange Letztere vom Staat subventioniert werden. Der Politik kommt daher vor allem in der Anfangsphase neuer Technologien eine wichtige Rolle zu. So hat das CO2-Gesetz in der Schweiz, das fossile Brennstoffe mit einer Lenkungsabgabe versieht und damit den Betrieb von Öl- und Gasheizungen verteuert, den Ausbau von Wärmepumpen und Solarthermieanlagen gefördert (für Einzelheiten siehe das Modul «Klimawandel: Marktwirtschaftliche Instrumente»).

Zukunftsaussichten

Was heisst das nun für die Zukunft? Im Bereich der Elektromobilität hat die Schweiz bereits einen Anteil von 8,28% (2020) erreicht, wenn wir uns auf rein elektrische Antriebe beschränken. Übertragen auf unser PVA-Beispiel stehen wir zwischen Tag 26 und 27. Allerdings dauert der Tag hier gemäss unseren Daten rund 1,5 Jahre, da sich der Anteil von Elektroautos in der Vergangenheit über diesen Zeitpunkt verdoppelt hat. Würde sich der Vergangenheitstrend der letzten 10 Jahre in ähnlicher Weise fortschreiben, hätten die Elektroantriebe bis zum Jahr 2027 einen Anteil von 100% von neu immatrikulierten Personenwagen in der Schweiz (siehe Grafik unten). Analog würde es noch gute 20 Jahre dauern, bis Heizungssysteme in privaten Haushalten keine fossilen Energieträger mehr in der Schweiz benötigen.

Natürlich sind solche Prognosen mit entsprechender Vorsicht zu geniessen. Zukünftige Entwicklungen können aus verschiedensten Gründen von vergangenen Trends abweichen. Dennoch zeigen diese Beispiele, dass es keinen Grund gibt, anzunehmen, dass sich Netto-Null-Emissionen in den erwähnten Sektoren nicht innerhalb der nächsten 30 bis 40 Jahre realisieren lassen. Hingegen gibt es auch Sektoren, in denen es noch neue Technologien braucht, um Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Ein Beispiel stellt der Flugverkehr dar: Es gibt bisher noch keine klimaneutrale Flugzeugtechnologie. Doch auch hier ist die Forschung bereits im Gange. Zum Beispiel entwickelt Airbus ein von Wasserstoff betriebenes Passagierflugzeug, das bis 2035 Marktreife haben soll. Weiter wird intensiv an Speichertechnologien für Strom und an einer treibhausgasärmeren Landwirtschaft geforscht. Diese Bereiche sind unabdingbar, um global Netto-Null-Emissionen bis 2050 zu erreichen.

Wie bereits erwähnt, sind die bisherigen Erfolge auch gezielten Umwelt- und Klimapolitiken zu verdanken. Manche dieser Politiken, z. B. die Subventionierung erneuerbarer Energien, kosten Geld, das der Staat entweder durch höhere Einnahmen oder geringere Ausgaben an anderer Stelle aufbringen muss. Auch für die Entwicklung neuer Technologien, die für globale Netto-Null-Emissionen nötig sind, wären entsprechende politische Rahmenbedingungen förderlich. Effektiver Klimaschutz ist nicht zum Nulltarif zu haben. Allerdings ist die Angst, dass eine mit dem Pariser Abkommen konforme Klimapolitik aufgrund der dadurch anfallenden Kosten wohlstandsgefährdend ist, unbegründet.

Die bisherige Förderung klimafreundlicher Technologien hat weder den Zusammenhalt noch den Wohlstand der Schweizer Bevölkerung gefährdet. Denn eine Erhöhung des Marktanteils neuer Technologien geht mit entsprechenden Kostenreduktionen einher. Tatsächlich liegen die Produktionskosten erneuerbarer Energien in Deutschland schon heute deutlich unter den Produktionskosten fossiler Energietechnologien. Auch die Wärmepumpe ist zumindest bei Neubauten nicht nur ein klimafreundliches, sondern meist auch das kostengünstigste Heizungssystem über den ganzen Lebenszyklus betrachtet. Gleiches gilt bereits für das Elektroauto im Vergleich zu einem Personenwagen mit Verbrennungsmotor.