Arbeitsteilung und Handel
Arbeitsteilung und Handel

Fachtext

Arbeitsteilung und Handel

Vom Nutzen der Spezialisierung: Weshalb nicht alle alles machen

Denken Sie an einen typischen Tag in Ihrem Leben und überlegen Sie, welche Güter und Dienstleistungen Sie an einem solchen Tag brauchen. Vom Frühstücksbrot bis zum Abenddessert, vom Küchenstuhl bis zum Radio, von der Wohnung bis zum Pullover, von der Tramfahrt bis zum Kinobesuch: Die Liste scheint fast endlos. Stellen Sie sich nun vor, Sie müssten alles selbst machen: das Brot und die Glace produzieren, den Küchenstuhl herstellen, das Radio zusammenbasteln, die Wohnung bauen, den Pullover stricken, das Tram selbst fahren, den Film drehen, einen Kinosaal bauen usw. Sie kämen nicht weit. Und damit wären Sie nicht allein.


Wohlstandsgewinne

Müsste ab morgen jede und jeder alles selbst machen, würde unser Wohlstand auf einen kleinen Bruchteil des heutigen Niveaus schrumpfen. Schon zu Urzeiten haben die Menschen gemerkt, dass sich der Austausch mit anderen lohnt. Was mit dem direkten Güteraustausch begann, ist in der modernen Volkswirtschaft dank allseits akzeptiertem Zahlungsmittel (Geld) weit bequemer geworden: Man arbeitet in einem Spezialgebiet, erhält dafür Geld und kauft sich damit jene Güter und Dienstleistungen, die man für das Leben braucht.
Arbeitsteilung und Handel lohnen sich vor allem aus folgenden Gründen: Erstens ist niemand in allem gut; deshalb konzentriert man sich besser auf seine Stärken: Jemand stellt Glace her, jemand anders produziert Radios, die dritte Person ist Tramführerin. Diese Spezialisierung erleichtert die Massenproduktion, welche viele Güter für die Menschen erst erschwinglich macht; das heisst, wenn nicht jeder Haushalt sein eigenes Auto herstellen muss, sondern riesige Fabriken die Autos millionenfach ausspucken, sinken die Produktionskosten auf einen kleinen Bruchteil. Zweitens lernen die Menschen durch die Spezialisierung in ihrem Fachgebiet noch ständig dazu und werden laufend produktiver, was die Menge und die Qualität der Güter weiter erhöht und damit die Preise weiter drückt.


Kein Nullsummenspiel

Was auf der Ebene der einzelnen Haushalte gilt, gilt auch für ganze Volkswirtschaften: Spezialisierung und Arbeitsteilung ermöglichen enorme Wohlstandsgewinne. Die Schweizer Volkswirtschaft ist zum Beispiel besonders gut in der Herstellung von Medikamenten und in der Verwaltung von Vermögen; Deutschland ist Weltspitze im Autobau, Indien stark in der Informatik; China dominiert die Produktion von Kleidern und Spielzeugen.
Der Handel zwischen Personen und Volkswirtschaften ist kein Fussballspiel, in dem der eine gewinnt und der andere verliert. Handel kommt nur dann zustande, wenn sich beide Parteien Vorteile versprechen. Wie gross die Vorteile sind, lässt sich an der Entwicklung der letzten zwei Jahrhunderte nachvollziehen. Die Industrialisierung und die Öffnung der nationalen Grenzen brachten eine massive Ausweitung von Arbeitsteilung und Handel. Diese Ausweitung trug wesentlich dazu bei, dass der Wohlstand beispielsweise in der Schweiz heute rund 15-mal so hoch ist wie noch um 1850.


Absoluter und komparativer Vorteil

Was auf den ersten Blick vielleicht überraschen mag: Spezialisierung und Handel lohnen sich selbst dann, wenn eine Person in allem besser sein sollte als eine andere. Nehmen wir zum Beispiel an, ein Spitzensportler kann einerseits sehr gut Tennis spielen und ist andererseits sehr effizient beim Abschliessen seiner Werbeverträge. Angenommen, er kann dies sogar besser erledigen als seine Nachbarin, die Juristin ist. Der Tennisspieler hat also gegenüber der Juristin einen absoluten Vorteil sowohl beim Tennisspielen als auch beim Abwickeln von Verträgen. Doch während er im Tennis hoch überlegen ist, kann er Verträge nur leicht besser abwickeln als seine Nachbarin. In der Sprache der Ökonomen heisst dies: Der Tennisspieler hat einen komparativen Vorteil (relativen Vorteil) beim Tennisspielen und die Juristin beim Abschliessen von Verträgen.
Obwohl er die Vertragsformalitäten besser erledigen könnte, lohnt es sich für den Tennisspieler, die Juristin damit zu beauftragen. Der Tennisspieler kann in dieser Zeit trainieren, an Turnieren oder Werbeanlässen teilnehmen und ein Vielfaches verdienen, auch wenn er der Juristin einen guten Lohn bezahlt. Auch für die Juristin macht es Sinn, sich auf die Juristerei zu konzentrieren. Diese Arbeit liegt ihr und sie verdient deutlich mehr, als wenn sie versuchen würde, Spitzentennis zu betreiben. Es lohnt sich also für beide, sich auf jene Tätigkeit zu konzentrieren, in welcher sie einen komparativen Vorteil besitzen.
Auch hier gilt das gleiche Prinzip für ganze Volkswirtschaften. Selbst wenn zum Beispiel China eines Tages in allem besser sein sollte als der Rest der Welt, würde es sich sowohl für China als auch für den Rest der Welt immer noch lohnen, miteinander zu handeln.

 

Das Wichtigste in Kürze

Bei einem freiwilligen Tauschhandel profitieren beide beteiligten Parteien, sonst würde eine Partei den Handel nicht eingehen.

Handel ermöglicht Arbeitsteilung, und dies bewirkt hohe Wohlstandsgewinne.

  • Ein wichtiger Grund für diese Gewinne liegt darin, dass nicht mehr alle Personen ein wenig von allem tun, sondern sich alle auf jene Tätigkeiten spezialisieren können, die sie vergleichsweise gut beherrschen.
  • Ein weiterer wichtiger Vorteil liegt darin, dass dank Spezialisierung Produkte und Dienstleistungen mit mehr Erfahrung und damit effizienter und in grösseren Mengen hergestellt werden können.

Ist eine Person in einer Tätigkeit anderen Personen gegenüber deutlicher überlegen oder weniger deutlich unterlegen als in anderen Tätigkeiten, so hat die Person in dieser Tätigkeit einen komparativen Vorteil. Dieselbe Aussage lässt sich auch auf Firmen oder Länder übertragen.

Arbeitsteilung und Handel lohnen sich sogar dann, wenn eine Partei der andern in allen Tätigkeiten überlegen ist. Entscheidend ist dabei, dass sich jede Partei auf jene Tätigkeit spezialisiert, in welcher sie über komparative Vorteile verfügt.