Gefangenendilemma
Gefangenendilemma

Fachtext

Gefangenendilemma

Das Gefangenendilemma

Angenommen, Bonnie und Clyde, das wohl berühmteste Verbrecherpaar aller Zeiten, haben gemeinsam ein Schwerverbrechen begangen, wofür ihnen eine lebenslängliche Haftstrafe droht. Die Polizei kann die beiden Verbrecher gefangen nehmen und setzt sie getrennt in Untersuchungshaft. Sie kann den beiden jedoch bloss ein mittleres Delikt nachweisen, für das sie ein Jahr eingesperrt werden können.

Dies kann sich die Polizei zunutze machen. Sie bietet beiden Gefangenen an, als Belohnung auf die einjährige Freiheitsstrafe zu verzichten, falls sie gegen ihren Kumpel aussagen. Falls beide gegeneinander aussagen, werden sie zwar für das Schwerverbrechen verurteilt, das Strafmass wird jedoch auf 10 Jahre reduziert.

Bonnie und Clyde müssen somit einzeln in ihren Zellen eine folgenschwere Entscheidung treffen. Beide kennen die Ausgangslage: Falls beide schweigen (d.h. miteinander kooperieren), mangelt es an Beweisen und beide erhalten lediglich ein Jahr Freiheitsstrafe. Falls der eine schweigt und der andere den Kumpel verrät, erhält Ersterer lebenslänglich und Letzterer kommt frei. Falls beide einander verraten, erhalten beide eine Haftstrafe von 10 Jahren. Diese Konstellation lässt sich wie unten dargestellt zusammenfassen.

Wie verhält sich ein rationaler Gefangener in einer solchen Situation? Bonnie denkt sich: «Falls mich Clyde verrät, fahre ich besser, wenn ich ihn auch verrate. Denn somit bekomme ich nur 10 Jahre statt lebenslänglich. Falls Clyde schweigt, fahre ich ebenfalls besser, wenn ich ihn verrate. Somit komme ich frei anstatt 1 Jahr hinter Gitter. Somit ist es für mich so oder so von Vorteil, ihn zu verraten.» Clyde denkt sich dasselbe, sodass beide einander verraten und beide überführt werden können.

Die oben beschriebene Situation hat den Begriff des  «Gefangendilemmas» geprägt. Das Dilemma besteht darin, dass für alle Beteiligten ein besseres Ergebnis möglich gewesen wäre, wenn sie kooperiert (d.h. in diesem Fall geschwiegen) hätten. Aus individueller Sicht haben aber beide Parteien einen Anreiz, nicht zu kooperieren. Deshalb wird das optimale Ergebnis bei rationalen Parteien nicht erreicht.

Allerdings zeigt sich in Experimenten, dass die angenommene Rationalität nicht das Verhalten aller Leute beschreiben kann und dass auch nicht alle Leute egoistisch denken. Zudem kann es auch bei egoistischen Beteiligten im Gefangenendilemma zu einer Kooperation kommen, wenn sich die Situation wiederholt bzw. wenn die Beteiligten später wieder aufeinander treffen. In diesem Fall müssen alle Beteiligten berücksichtigen, dass sie später für ihr früheres Verhalten bestraft oder belohnt werden können, und dies kann dazu führen, dass sie von Anfang an kooperieren.

In der Volkswirtschaftslehre ist das Gefangenendilemma ein wichtiges Beispiel aus der Spieltheorie. Diese analysiert strategische Entscheidungssituationen, in denen das Ergebnis für den Einzelnen nicht nur vom eigenen, sondern auch vom Verhalten anderer abhängt.

Das Gefangenendilemma lässt sich auf viele Situationen anwenden. Es erklärt beispielsweise, weshalb es zwischen zwei Ländern zu einer Aufrüstungspirale kommen kann, obwohl es aus kollektiver Sicht erwünscht wäre, auf das Bedrohungspotenzial und die Kosten einer solchen Aufrüstung zu verzichten. Das Gefangenendilemma kann auch erklären, weshalb Preisabsprachen in Kartellen brüchig sind und oft unterboten werden oder weshalb an einer Party alle Gäste äusserst laut sprechen, obwohl für alle es angenehmer wäre, wenn alle leise sprächen. Andere Anwendungsbeispiele sind exzessive Werbeausgaben von Konkurrenten in einem begrenzten Markt, diverse Umweltprobleme oder Beispiele aus dem Sport (u.a. Doping).