Zölle sind zurück auf der politischen Bühne. Im Interview mit der NZZ erläutert Wirtschaftshistoriker Douglas Irwin, warum sie so gefährlich sind, weshalb sie trotzdem politische Anziehungskraft besitzen und welche Folgen ihre Rückkehr haben könnte.

Im Interview mit der NZZ im August 2025 erinnert Wirtschaftshistoriker Douglas Irwin an die 1930er-Jahre, als eine Spirale aus steigenden Zöllen und rückläufigem Welthandel gravierende Folgen für die globale Wirtschaft hatte. Laut Irwin, Professor am Dartmouth College, droht heute eine ähnliche Dynamik.
Wir geben das NZZ Interview auszugsweise wieder.
Die Frage ist: Was wollen sie [Regierungen] mit Zöllen erreichen?
(…) Regierungen verfolgten damit zu verschiedenen Zeitpunkten verschiedene Ziele. Der erste Grund, weshalb die USA und die meisten anderen Länder Zölle einführten: Sie wollten Geld einnehmen. Das geht weit zurück in der Geschichte, weil es damals einfacher war, Zölle zu erheben, als Einkommens- oder Verbrauchssteuern einzutreiben. Importe gelangten meist über Häfen in bestimmte Länder. Das lässt sich einfach besteuern.
Könnte man sagen, Zölle waren die ersten Steuern?
Sie sind sogar eine der grundlegenden Steuern. In den USA war das zweite Gesetz, das der erste Kongress im Rahmen der Verfassung verabschiedete, ein Zollgesetz – weil die Regierung nach dem Krieg gegen England dringend Einnahmen benötigte. Mit zunehmender Entwicklung und Infrastruktur der Länder ging man dann zu Einkommensteuern und anderen Steuern über.
Einnahmen waren also schon immer ein Thema – so wie jetzt wieder mit Trump, der damit prahlt, Milliarden in die Staatskasse zu holen.
Genau. Ein zweites Ziel war, ausländische Waren vom eigenen Markt fernzuhalten und inländische Hersteller und Produzenten zu schützen. Weil es mächtige Branchen sind, bei denen sich die Politiker einschmeicheln wollen. Oder weil man die Branche für die Landesverteidigung für unabdingbar hält.
Was ist das dritte Ziel?
Reziprozität, also Gegenseitigkeit: Land A hat einen Zoll, also führt Land B auch einen Zoll ein. Danach haben beide einen Anreiz, im bilateralen Handel die Zölle zu senken.
Historisch gesehen ist die Ära des Freihandels vergleichsweise kurz. Die meiste Zeit der Geschichte lebten wir in einer Welt der Zölle, nicht wahr?
Ja. Wenn man sich die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg ansieht, waren die Zölle manchmal hoch, manchmal moderat. (…) Dann haben wir diese Zeit zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg. Eine Zeit hoher Zölle, viel Protektionismus, die Weltwirtschaftskrise und viele Verwerfungen. Aber nach dem Zweiten Weltkrieg, da kommen wir in diese kurze, aber doch immerhin siebzig bis achtzig Jahre dauernde Phase, in der man Zollschranken versucht hat abzubauen. (…)
Und jetzt kommen wieder Zölle wie in den 1920er Jahren?
Es klingt ähnlich, ja. Aber wir sehen noch keine so starke Abschottung von Ländern, weil die Kosten für den Warentransport immer noch niedrig sind. Es ist also ähnlich, wie wenn Sie im Auto auf das Bremspedal drücken. Ich würde sagen, die Technologie gibt Gas. Sie entwickelt sich ständig weiter und führt Märkte zusammen. Zölle hingegen treten auf das Bremspedal.
Viele sehen angesichts des aktuellen Handelskriegs und der geopolitischen Spannungen Parallelen zu den 1920er Jahren. Wie treffend finden Sie diesen Vergleich?
Was mich an die 1920er und 1930er Jahre erinnert: Es war damals nicht einfach ein Handelskrieg. Es war ein sich anbahnender Systemkonflikt in Europa: Faschismus und ähnliche Strömungen. Und es ging um Grossmachtpolitik. Deutschland wollte sich nach dem Ersten Weltkrieg rächen.
Jetzt befinden wir uns wieder in einer Phase, in der solche Grossmachtpolitik relevant zu werden scheint.
Genau. Geopolitische und strategische Fragen treten in den Vordergrund – und die Wirtschaft verliert an Bedeutung.
Lesen Sie das ganze Interview auf Deutsch hier.
Douglas Irwin ist ein US-amerikanischer Wirtschaftshistoriker, Professor für Ökonomie am Dartmouth College im Bundesstaat New Hampshire und Autor von «Free Trade under Fire».
Er gilt als einer der führenden Experten für internationale Handelspolitik, insbesondere für die Geschichte von Freihandel und Protektionismus. Irwins Forschung zeigt, wie Zölle historisch eingesetzt wurden, welche politischen Interessen sie prägen und welche langfristigen wirtschaftlichen Folgen sie haben.
