Ohne Geld würde unsere Wirtschaft nicht funktionieren. Doch wie ist Geld eigentlich entstanden? Die bekannte Schulbuchversion erklärt dies durch den Tauschhandel in der arbeitsteiligen Produktion. Es gibt jedoch auch eine andere Erklärung, die die Geschichte des Geldes mit der Geschichte der Schulden verknüpft. Diese Story stellt beide Versionen vor.
Die herkömmliche Sichtweise
Gemäss Adam Smith, dem Gründervater der modernen Wirtschaftswissenschaften, hat das Geld seinen Ursprung in der Spezialisierung der Arbeit und der daraus entstehenden Notwendigkeit, ein Tauschsystem zu entwickeln.
In den Anfängen der Spezialisierung tauschten die Menschen Güter direkt gegen andere Güter. Der Bauer baute Kartoffeln an, während der Weber Tücher herstellte. Beide benötigten nicht alle Waren selbst, deshalb tauschten sie ihren Warenüberschuss gegen andere Waren ein.
Das Problem dabei: Wollte ein Bauer ein Tuch erwerben, musste er einen Weber treffen, der auch seine Kartoffeln haben wollte. Die Bedürfnisse mussten also doppelt übereinstimmen. Ökonomen sprechen in diesem Fall vom sogenannten «double coincidence of wants».
Um die Ineffizienz des Tauschhandels zu überwinden, wurde schliesslich eine spezielle Ware zum allgemeinen Tauschmittel erhoben und somit das Geld als Zahlungsmittel eingeführt. Nun wurde nicht mehr Ware gegen Ware, sondern Ware gegen Geld getauscht.
Aufgrund der enormen Erleichterungen, die das Verwenden von Geld mit sich brachte, wurde es nach und nach von allen als allgemeines Tauschmittel akzeptiert. Nun konnten alle miteinander handeln, unabhängig davon, ob die Bedürfnisse gegenseitig übereinstimmten oder nicht.
Alle möglichen Waren wurden im Laufe der Geschichte als Geld verwendet, so z. B. Muscheln, Felle, Tiere oder Salz. Über die Jahrhunderte setzten sich Edelmetallmünzen als Tauschmittel durch. In jüngster Vergangenheit kamen schliesslich Banknoten, die zunächst noch durch Gold gedeckt waren, hinzu.
Diese traditionelle Geschichte des Geldes wird auch in Ökonomie-Lehrbüchern so erzählt und klingt eigentlich ganz plausibel. Doch steht sie in einem gewissen Widerspruch zu den historischen Tatsachen.
Die alternative Sichtweise
Ethnographische Untersuchungen legen nahe, dass der direkte, nicht durch Geld vermittelte Naturaltausch eine Erfindung der Ökonomen ist und in keiner Gesellschaft jemals wirklich stattgefunden hat. «Tauschhandel in der Form ‹20 Hühner für eine Kuh›, wie sie von Ökonomen vorhergesagt wurden, fanden in keiner Gesellschaft statt», bestätigte der Anthropologe David Graeber in einem Blog-Artikel von 2011.
Der hauptsächliche Grund für die Entstehung des Geldes kann demnach nicht die Tauscherleichterung sein. Wie entstand Geld dann?
In seinem 2011 erschienenen Buch «Schulden, die ersten 5000 Jahre» stellt Graeber eine alternative These auf und plädiert für eine andere Entstehungsgeschichte des Geldes. Laut Graeber ist Geld nicht primär Tauschmittel, sondern eine soziale Technologie, die zur Dokumentation von Schuldverhältnissen in einer Gesellschaft dient.
Kauft ein Bauer einem Weber ein Tuch ab und benötigt dieser Weber vorläufig keine Waren des Bauern, so wird der Bauer zum Schuldner des Webers. Dieser Vorgang wird in einer Art Buchhaltung festgehalten.
Diese Entdeckungen wurden auch vom Ökonomen und Autor Felix Martin in dessen 2014 erschienenen Buch «Geld, die wahre Geschichte» aufgenommen. Er beschreibt darin, genauso wie Graeber in seinem Buch, die Rolle der Geldobjekte als blosses Zeichen für den Stand der Buchhaltung.
Lebten die Menschen in kleineren Gruppen zusammen, so diente das Geld dazu, die Menschen an die Schulden zu erinnern, die sie gegenüber anderen Mitgliedern dieser Gesellschaft hatten. Eine exakte, schriftlich dokumentierte Buchhaltung im heutigen Sinn war nicht nötig.
Martin nennt in seinem Buch dazu auch ein historisches Beispiel: Auf den Yap-Inseln, einer kleinen Inselgruppe im Pazifik in der Nähe von Neuguinea, lebt ein urtümliches Volk, das bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts kaum mit anderen Zivilisationen in Berührung kam.
Der Anthropologe William Henry Furness bereiste diese Insel 1903. Er erwartete in dieser Gesellschaft eine primitive Tauschwirtschaft, da nur wenige Menschen zusammenlebten und die Warenproduktion überschaubar war. Er fand jedoch etwas ganz anderes vor:
Die Bewohner von Yap verwendeten zum Teil tonnenschwere Steine als Geld (siehe Bild). Was noch erstaunlicher war: Die Steine wurden bei den meisten Geschäften gar nicht verschoben. Sie dienten lediglich als Symbole, welche die Bewohner an die Besitzverhältnisse ihres Stammes erinnerten. Die Steine standen bloss stellvertretend für ein Guthaben-Schulden-System.
Auch im Römischen Reich handelte man mit Schuldscheinen, die bis zu ihrer Fälligkeit zirkulierten und dann eingelöst wurden. Der Weber konnte also beispielsweise mit den Schulden, die der Metzger bei ihm hatte, beim Bäcker sein Brot bezahlen.
Die Bedeutung des heutigen Geldes kann ebenfalls anhand dieses Konzepts interpretiert werden: Elektronisches Buchgeld verweist auf Guthaben-Schulden-Verhältnisse in den Büchern der Banken.
Wie auch immer die genaue Entstehung des Geldes ausgesehen hat, so ist klar, dass Geld in unserer heutigen Gesellschaft täglich beide Rollen einnimmt: Sowohl die der Tauscherleichterung, als auch die der Buchhaltung.
Die Standardtheorie der Wirtschaftswissenschaften besagt, dass zuerst Münzen als Zahlungsmittel entstanden, bevor Menschen Schulden machten und Kredite gaben. In Wirklichkeit gab es letzteres aber schon lange vor Münzen. Diese alternative Entstehungsgeschichte des Geldes präsentiert Graeber in seinem Buch und äussert zudem Systemkritik, indem er einen globalen Schuldenerlass fordert.
David Graeber – Schulden, die ersten 5000 Jahre (2011), Klett-Cotta, Stuttgart
In seinem Buch zeigt Martin, dass Geld ursprünglich nichts anderes war als ein greifbares Symbol für ein Schuldenverhältnis zwischen verschiedenen Parteien und damit ein Mittel, um das Zusammenleben in Gesellschaften zu organisieren. Er beschreibt, wie Geld entstand, sich historisch entwickelte, aus den Händen von Herrschern in die Verantwortung von Notenbanken geriet und wie es zu den vergangenen Exzessen an den Finanzmärkten kommen konnte.
Felix Martin - Geld, die wahre Geschichte (2014), DVA, München