Die Digitalisierung im Schweizer Arbeitsmarkt

Die alte Debatte, ob Roboter menschliche Arbeiter:innen dereinst ersetzen werden, wird seit der Lancierung von neuer KI-Software wie ChatGPT noch intensiver geführt. Doch was sagen eigentlich die Fakten: Wie hat sich die Digitalisierung bisher auf den Arbeitsmarkt ausgewirkt? Wo sind Jobs verschwunden und wo neue entstanden? 
Diesen Fragen gehen zwei Wirtschaftswissenschaftler:innen in einer neuen Studie nach, die die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Schweizer Arbeitsmarkt seit 1994 untersucht. 

Der Schweizer Arbeitsmarkt

Obwohl die Digitalisierung die Wirtschaft in allen industrialisierten Staaten nachhaltig verändert hat, fällt der Effekt auf den Arbeitsmarkt in verschiedenen Ländern unterschiedlich  aus.  Grund dafür sind die unterschiedlichen Ausbildungssysteme. Aufgrund des dualen Bildungssystems verfügen in der Schweiz über 50% aller Arbeitnehmenden über eine abgeschlossene Berufslehre. Knapp 10% aller Arbeitnehmenden haben einen Universitätsabschluss, und ca. 20% haben lediglich die obligatorische Schulzeit absolviert. Die Entwicklungen im Schweizer Arbeitsmarkt sind in Grafik 1 zu sehen.

Die Digitalisierung und ihre Auswirkungen auf den Schweizer Arbeitsmarkt

Um den Effekt der Digitalisierung auf den Schweizer Arbeitsmarkt zu untersuchen, nutzen die zwei Wirtschaftswissenschaftler:innen Filippo Pusterla1 und Ursula Renold2 Daten zu Schweizer Firmen und ihren Mitarbeitenden seit 19943. Sie untersuchen, wie sich die Zusammensetzung der Mitarbeitenden nach Bildungsabschluss seit 1994 unterschiedlich entwickelt hat, je nach Digitalisierungsgrad einer Firma. 

Dgitalisierung im US Arbeitsmarkt

Da die Berufslehre in den US praktisch nicht existiert, unterscheidet sich der US Arbeitsmarkt grundlegend vom schweizerischen. Entsprechend zeigen sich in den USA auch unterschiedliche Effekte der Digitalisierung.

Verschiedene Studien4,5 haben gezeigt, dass sich die Digitalisierung in den USA anders als erwartet nicht nur auf Hochschulabgänger positiv ausgewirkt hat. Auch für niedrig Qualifizierte (low-skill workers) sind keine negativen Effekte zu sehen.

Die negativen Effekte zeigten sich vor allem bei sogenannten Routinejobs, die sich einfach automatisieren lassen. Diese Routinejobs finden sich aber oft nicht am unteren Ende der Qualifikationsskala, sondern eher im mittleren Bereich (mid-skill workers). Typische Beispiele dafür sind Sekretär:innen oder Buchhalter:innen.

Jobs am unteren Ende der Qualifikationsskale wie zum Beispiel in der Reinigung oder im Service lassen sich hingegen oft nicht einfach automatisieren. Entsprechend sind für Niedrigqualifizierte auch keine negativen Auswirkungen der Digitalisierung zu sehen.

Um den Grad der Digitalisierung in einem Unternehmen zu messen, wird der Anteil Mitarbeitenden, deren Tätigkeiten im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik liegt, berechnet. Dazu gehören beispielsweise Softwareentwickler:innen, Web- und Multimediaentwickler:innen oder Fachkräfte für Datenbanken und Netzwerke. 

In einem nächsten Schritt evaluieren sie, wie sich die Mitarbeitendenzusammensetzung in Unternehmen entwickelt hat, in denen der Anteil der Mitarbeitenden im Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie höher ist. Da viele Mitarbeitende im Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie über einen Universitätsabschluss verfügen, werden diese bei der Berechnung der Mitarbeitendenzusammensetzung aussen vor gelassen, damit der Anstieg des Anteils der Hochschulabgänger durch die Digitalisierung nicht rein mechanisch erfolgt.

Ihre Ergebnisse zeigen, dass Firmen mit einem höheren Anteil an Mitarbeitenden in diesem Berufsfeld (also mit einem höheren Digitalisierungsgrad) typischerweise weniger Angestellte mit Berufsausbildung oder obligatorischem Schulabschluss beschäftigen, dafür mehr Mitarbeitende mit höherer Fachprüfung, mit Fachhochschulabschluss, oder mit Universitätsabschluss. Den grössten positiven Effekt der Digitalisierung finden die Forschenden dabei für Mitarbeitende mit Fachhochschulabschluss. Und obwohl Mitarbeitende mit obligatorischem Schulabschluss im Gegensatz zu den USA auch negativ betroffen sind, findet sich der grösste negative Effekt bei Mitarbeitende mit Lehrabschluss.

Fazit

Zusammenfassend kommt die Studie zum Schluss, dass die Digitalisierung in der Schweiz zu einer höheren Nachfrage nach Arbeitnehmenden vor allem mit Fachhochschulabschluss, aber auch mit höhere Fachprüfung oder Universitätsabschluss geführt hat. Die Nachfrage nach Arbeitnehmenden mit Berufsbildung oder nach gering qualifizierten Arbeitskräften ist hingegen gesunken. 

[1] Filippo Pusterla ist Dozent und Forscher an der Eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung.

[2] Ursula Renold ist Professorin für Bildungssysteme an der ETH Zürich.

[3] Quelle:  Pusterla, Filippo & Renold, Ursula (2022). "Does ICT affect the demand for vocationally educated workers?", Swiss Journal of Economics and Statistics, 158(22).

[4] Quelle: Autor, David, Levy, Frank, & Murnane, Richard (2003) , "The skill content of recent technological change: An empirical exploration.", The Quarterly Journal of Economics, 118(4), 1279–1333.

[5] Quelle: Autor, David, Katz, Lawrence, & Kearney, Melissa (2006), "The polarization of the US labor market.", The American Economic Review, 96(2), 189–194.

Portrait von Andrea Hofer
Beitrag von:
Andrea Hofer
erstellt am 28.04.2023
geändert am 03.05.2023